Ein Redakteur packt aus: Seit 9/11 keine freie Recherche mehr! Teil 1
Das nachfolgende Interview wurde am 28.11.2008 geführt:
Wahrheiten.org: Hallo Fxxxxx, Du arbeitest als Redakteur in einem Redaktionsbüro. Wie groß ist Euer Team und welche speziellen Dienstleistungen erbringt Ihr für Eure Kunden?
Wir haben derzeit vier feste Redakteure (plus Chefredakteur), zwei Redaktionsassistenten und, je nach Auftragslage, einige freie Mitarbeiter. Nicht zu vergessen: Ein Volontär und derzeit zwei Praktikanten sind auch mit im Boot. Ich stelle es mal geschlechterübergreifend dar. Die Geschlechterverteilung ist ausgewogen mit einem leichten quantitativen Vorteil im männlichen Bereich (Fxxxxx grinst beim letzten Satz wie ein kleiner Macho).
Das Team ist allerdings im Laufe der Jahre deutlich kleiner geworden. Wir waren zu Hochzeiten einmal über zwanzig Leute in Festanstellung.
Was die Aufgaben/Dienstleistungen angeht: Wir liefern Zeitungs-, Zeitschriften- und Internetverlagen Textmaterial für ihre diversen Publikationen, insbesondere was den Nachrichtensektor angeht. Früher hatten wir noch eine interne Bildredaktion, um Bildmaterial zu beschaffen und zu liefern. Die existiert allerdings nicht mehr.
Ein weiterer Bereich besteht eigentlich noch darin, Recherchen durchzuführen – unabhängig vom Textmaterial oder in Verbindung damit. Eigentlich…
Habt Ihr namhafte Kunden, kannst Du ein paar Referenzen nennen?
Im Grunde genommen arbeiten wir mit allen Verlagen zusammen, die externes Material benötigen – und das sind einige. Namhafte Kunden sind selbstverständlich auch darunter.
Namen möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht benennen. Von der kleinen Zeitung bis zum großen Nachrichtenmagazin ist so ziemlich alles dabei. Such´ dir einfach ein paar Publikationen aus – irgendetwas ist ganz sicher dabei. Unsere Kunden findest du zu über neunzig Prozent im deutschsprachigen Raum, wir arbeiten aber auch gelegentlich mit Kunden in Großbritannien oder den USA zusammen.
Wie sieht ein durchschnittlicher Tagesablauf bei Dir aus? Was passiert nach dem Frühstück?
Frühstück? Meist frühstücke ich gar nicht oder unterwegs. Keine Zeit, kein Geld (Fxxxxx lacht).
Im Büro angekommen, gibt es allmorgendlich eine kurze Redaktionssitzung. Die Aufgabenbereiche werden verteilt, die schriftlichen Kundenbriefings mit der genauen Aufgabenstellung gibt es dazu. Fragen, Rückfragen, schneller Gedankenaustausch. Je nachdem, welche Aufträge neu reingekommen oder noch nicht abgeschlossen sind, wird es dann entweder hektisch oder eher gemütlich.
Seit ein paar Jahren geht es meist ruhiger zu. Der Kaffee ist natürlich schwer danon fertig. Die Praktikanten wollen schließlich auch beschäftigt sein (Fxxxxx hat ein Schmunzeln im Gesicht). Dann wird anhand des Briefings der jeweilige Text erstellt. Von der Meldung (über den Ticker – von uns weiterverarbeitet) bis hin zur Reportage ist eigentlich alles dabei.
Zwischendurch kurze Mittagspause (manchmal), ein paar Telefonate, Gedankenaustausch mit den Kollegen etc. Früher warst du z.B. für Reportagen noch unterwegs, das kommt heute aber fast nur noch bei „kleineren“ Kunden vor, wobei die oft die damit verbundenen Kosten scheuen und auf die „Retorte“ zurückgreifen.
Feste Arbeitszeiten gibt es nicht. Oft sitze ich bis spät in die Nacht noch im Büro, kann dort inzwischen aber auch viel privat erledigen. Bis vor ein paar Jahren haben wir noch in Schichten gearbeitet, das ist aber vorbei. Nur noch eine Schicht, die manchmal aber kein Ende findet. Dauerschicht (Fxxxxx lacht dabei zynisch).
Wenn nun ein Kunde eine Aufgabenstellung verlangt, wie kommst Du an Hintergrundmaterial? Wie und wo recherchierst Du darüber?
Jetzt betrittst du gerade einen etwas kritischen Bereich (Fxxxxx fasst sich grübelnd an den Kopf). Früher hat man noch recherchiert und das Hintergrundmaterial für die Artikel zum Teil selbst beschafft. Das entfällt inzwischen komplett. Hintergrundmaterial und Quelle/n bekommen wir vom Auftraggeber gleich mitgeliefert.
Bei namhaften Kunden findest du im Briefing meist einen Vermerk wie „Material anbei, keine Recherche, nur Text!“ o.ä. Unser Chefredakteur hebt diese Passagen dann meist noch hervor oder drückt zusätzlich einen entsprechenden Stempel drauf. Er muss schließlich seinen Allerwertesten hinhalten, wenn sich der Kunde hinterher beschwert, dass wir nicht lesen konnten.
Je „unbedeutender“ der Kunde ist, desto mehr Freiräume haben wir in der Regel.
Wie, die Quellen werden mitgeliefert, führst Du selbst keine Recherchen mehr durch?
Wie gesagt: Bei namhaften Kunden, insbesondere der Massenmedien, werden uns eigene Recherchen sogar meist strikt untersagt.
„Quellen“ gibt es eh ganz selten, meist ist es nur eine einzige Quelle, die fix und unantastbar ist. Die Vorgaben sind in solchen Fällen dann extrem eng gefasst, um es vorsichtig und höflich auszudrücken. Das unterscheidet uns aber nicht wirklich von den Stammredakteuren der Verlage. Auch die haben sich an feste Vorgaben zu halten und Recherchen sind dort nur möglich, wenn sie sich innerhalb dieser Vorgaben bewegen.
Das klingt, als wärst Du nur ein besserer Ghostwriter. Was passiert, wenn Du dennoch eigene Nachforschungen anstellst und diese mit einfließen lässt in das Ergebnis?
Dann ist unser Büro entweder den Kunden los, ich meinen Job oder beides (Fxxxxx hat einen sorgenvollen Blick).
Die von uns gelieferten Texte werden von den größeren Redaktionen innerhalb der Verlage eh nochmals redigiert. Wir sagen immer „zensiert“, weil dort genau das passiert: Eine Zensur findet statt. Regelrechte „Zensurabteilungen“ sind dort vorhanden.
Bis du auch nur leicht von den Briefing-Vorgaben abgewichen oder hast gar eigene Meinungen, Ansichten, Anmerkungen o.ä. mit einfließen lassen, wird das herausgefiltert. Es heißt ja immer, journalistische Texte sollten frei von eigenen Meinungen sein, einmal abgesehen von Kritiken, Glossen, Kommentaren oder speziellen Kolumnen. Das ist natürlich Blödsinn, weil jeder Artikel entweder Meinungen enthält oder bestimmte Meinungen bilden soll. Meist ist es eine Verknüpfung.
Also sind Meinungen der Journalisten gar nicht auszuklammern?
Gerade Reportagen stecken voller Meinungen, weil es gar nicht anders gehen würde. Wenn du aber deine eigenen Ansichten in einen solchen Artikel steckst und nicht die Meinungen, die laut Vorgaben transportiert werden sollen, störst du das ganze System und bekommst Probleme.
Was die Zensur angeht, erkennst du oft deinen eigenen Text gar nicht wieder und fragst dich dann, warum die uns überhaupt beauftragt und nicht gleich alles selbst geschrieben haben. Die Erklärung ist meist im Personalmangel zu finden. Die internen Redaktionen der Zeitungen und Zeitschriften werden immer stärker rationalisiert. Teilweise findest du dort gar keine richtigen Redakteure mehr, sondern nur noch Volontäre oder Redaktionsassistenten. Die verwalten dann im Prinzip die Redaktion und externe Büros übernehmen die eigentliche Arbeit. Richtige Vollredaktionen findest du eigentlich nur noch bei den ganz Großen.
Der Begriff „Ghostwriter“ passt übrigens prächtig (Fxxxxx lächelt dabei anerkennend). Wir arbeiten im Hintergrund und niemand erfährt, dass viele Artikel, die du tagtäglich lesen kannst, vielleicht im Kern eigentlich von uns stammen oder von Kollegen aus anderen Presse- oder Redaktionsbüros (Fxxxxx hat einen Gesichtsausdruck gemischt aus Stolz und Anwiderung).
Das wird von den Vollredaktionen der Verlage und den dort sitzenden Redakteuren zwar immer wieder gern bestritten, das ändert aber nichts an den Fakten. Rühmen können wir uns damit allerdings auch nicht wirklich, weil die Texte durch die Vorgaben inzwischen ohnehin austauschbar geworden sind. Mit Kreativität hat das nichts mehr zu tun. Vielleicht sind wir daher nicht einmal richtige „Ghostwriter“, sondern eher bessere „Sekretäre“. Das würde jedenfalls auf den Bereich der Massenmedien zutreffen.
Das bedeutet, Deine Arbeit wird regelrecht zensiert?
So ist es – und nicht nur meine.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ein durchschnittliches Redaktionsbüro seit jeher nur auf diese Weise „Auftragsarbeit“ abliefert. Seit wann ist das denn so?
Ich arbeite jetzt seit Ende der 90er-Jahre für dieses Redaktionsbüro. Am Anfang war alles noch so, wie man es sich vorstellt: Kurzes Briefing, Gespräche mit dem Auftraggeber, eigene Konzepte dazu erarbeiten und umsetzen, viel Freiraum, eigene Recherchen, eigene Quellen, Prüfung der Quellen, Rückfragen, Interviews selbst durchführen, viele Telefonate, umherreisen u.s.w. Das volle Programm eben (Fxxxxx hat einen fast sehnsuchtsvollen Gesichtsausdruck).
Seit dem 11. September 2001 ist alles plötzlich ganz anders. Das kam zwar nicht von heute auf morgen, aber innerhalb weniger Monate änderte sich alles. Das bezog sich zunächst nur auf die ganz Großen der Branche und arbeitete sich immer weiter nach unten durch.
Heute sind wir an einem Punkt angelangt, der uns nur noch bei ganz kleinen Fischen Freiräume lässt. Wenn du über den Wochenmarkt im Stadtteil X was schreiben sollst, kannst du machen, was du willst. Das interessiert niemanden. Sobald du aber über den regionalen Bereich hinausgehst oder bestimmte Grenzen innerhalb der Region überschreitest, ist es vorbei mit Kreativität und Arbeitsfreiheit (Fxxxxx ist sichtlich wütend).
Natürlich kann ich an dieser Stelle nicht für alle Presse- oder Redaktionsbüros sprechen. Da mag es durchaus Abweichungen geben. Aber von Kollegen aus anderen Büros habe ich einen ziemlich ähnlichen Ablauf mitbekommen.
Aus welchen Branchen sind denn die meisten Auftraggeber? Gibt es Unterschiede in den Vorgaben der Branchen?
Unser Schwerpunkt liegt im Nachrichtenbereich. Wie bereits erwähnt, sind unsere Hauptkunden Zeitungs-, Zeitschriften- und Internetverlage oder eigenständige Groß- und Vollredaktionen. Hinzu kommen noch ein paar Großunternehmen, die für ihre Kunden- oder Mitarbeiterzeitschriften Material benötigen. Manchmal verfassen wir auch Pressemitteilungen o.ä., was eigentlich schon in den PR-Bereich vordringt. Die Grenzen sind da inzwischen fließend. Genau genommen ist das, was du morgen wieder in der Zeitung liest, nichts anderes als PR.
Gibt es auch noch Auftraggeber, die offene Fragen stellen und Euch tatsächlich eine Recherche abverlangen?
Wie gesagt: Im unteren Segment sind Recherchen bis zu einem gewissen Punkt noch möglich und werden auch in Auftrag gegeben oder sind ohnehin mit den Textarbeiten verbunden. Ab einer bestimmten Grenze ist dann Recherchestopp angesagt.
Was die „offenen Fragen“ angeht: Wenn du damit die nicht beantworteten Fragen hinsichtlich des Weltgeschehens meinst, wird unter der Hand schon gefragt und spekuliert, oft auch gewusst. Antworten werden allerdings nicht erwartet – schon gar nicht auftragsbedingt. Da gibt es keine offenen Fragen, nur festgelegte Antworten.
Falls du mit „offenen Fragen“ meinst, ob man Antworten auf die Fragen erhält, warum man nicht mehr recherchieren soll oder darf und warum man Hintergrundmaterial nur noch sehr selten beschaffen kann, sieht es sehr ähnlich aus. Fragen darfst du, Antworten kannst du allerdings nicht erwarten.
Und wenn deine Fragen zu bohrend werden und du nicht locker lässt, bist du innerhalb von wenigen Minuten Ex-Redakteur oder Ex-Journalist. Das geht dann sehr schnell. Und danach bekommst du als Journalist natürlich keinen Fuß mehr auf festen Boden (Fxxxxx hat einen sehr ernsten Blick).
Ein sehr interessanter Beitrag, sehr interessant .
googelt mal nach „Journalistenausbildung“
Auch ich habe mich mit Journalisten aus der Umgebung unterhalten. definitiv sind die Medien gelähmt und der investigative Journalismus ist im herkömmlichen Sinn völlig ausgerottet. Die Möglichkeit des Onlinejournalismusses geht jedoch über die Möglichkeiten der Zensur. Ich habe Jahrelang telefoniert und heraus bekommen, das es sehr wohl andere Möglichkeiten gibt als den Weg, der Vernichtung. Die Zukunft bietet viele neue Möglichkeiten und auch wenn die Presse nicht berichten kann, bleibt uns ein unzensiertes Medium.
Die FAZ schrieb Mitte November 2001: „Wir verabschieden uns von der freien Berichterstattung“ (aber druckte das auch nur im ersten Abo-Versand – nachher war auch der Artikel zensiert).
Genau das ist es, was zu schwindenden Leserzahlen der etablierten Druckpresse führt —> die Konkurrenz der Blogs, bzw. der sich daraus entwickelnden Zeitungen/Journalen. Aber die bevorstehenden Maßnahmen führen auch dazu, das Blog-Format aufzugeben, im sicheren Ausland eigene Server anzumieten und per CMS vollgültige Zeitungen zu editieren, die das zensierte Geschmiere ersetzen.
Alles andere hieße, sich den Mund verbieten zu lassen, bzw. sich zu verbiegen. Die Devise von http://www.politik-global.net ist jedoch: „Wahre Freiheit ist freie Wahrheit“
Ich kann nachempfinden, was dieser Jornalist fühlt. Doch wie Ihm, geht es vielen, sie stecken in besch……. Jobs, sehen die ganze Sch….. und bleiben drin, aus Angst, morgen nichts mehr zu Essen zu haben.
Doch ich möchte ihm sagen, dass es durchaus einige Menschen gibt, die wach sind, sehr wach sind. Und sie wollen aussteigen. Vielleicht sind schon mehr, als er denkt und sie suchen Mittel und Wege, dies auch zu tun. Würde diesen Mann gerne kennen lernen. Ihr dürft ihm meine E-Mail- addy geben :-)