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Wann fliegt der politische Deckel in Berlin weg?

Großbritannien macht es uns vor: Ein Skandal jagt den nächsten – unter den Abgeordneten herrscht große Unruhe und ein Kopf rollt nach dem anderen.

Gut, dass es in Berlin so etwas nicht gibt. Dort regiert weder Korruption noch Betrug, unsere unabhängigen Abgeordneten und die Regierung sind nicht nur sauber, sondern rein. Oder was denken Sie?

Im Land der Rechtslenker – in Bezug auf den Straßenverkehr – herrscht offenbar „Revoluzzer-Stimmung“. Der Spiegel schrieb dazu am 18.05.2009:

Der Spesenskandal um britische Politiker stürzt das Land in die tiefste politische Krise seit Jahrzehnten – und provoziert einen offenen Aufstand im Unterhaus. Sprecher Martin sperrt sich gegen alle Rücktrittsforderungen. Sein Schicksal liegt in den Händen eines alten Parteifreunds: Gordon Brown.

Nur einen Tag später war es auch schon so weit: Martin trat zurück. Eine Unglaublichkeit, da dies in den letzten 300 Jahren nicht geschah. Focus-Online dazu am 19.05.2009:

Der britische Unterhauspräsident Michael Martin tritt zurück. Eine Spesenaffäre unter Abgeordneten war ausschlaggebend für die Entscheidung. Martin ist damit der erste Parlamentspräsident seit 300 Jahren, der seinen Rücktritt erklärt.

Wie wir schon durch die Banken-Krise gelernt haben, wird nur das zugegeben, was ohnehin nicht mehr zu verheimlichen ist. Gehen wir also davon aus, das war nur eine kleine Eisbergspitze, die wir mitbekommen haben.

Derartige Unruhen in einer Regierung zwingen deren Chef zu schnellen und sichtbaren Maßnahmen, sonst kann er sich gleich selbst verabschieden. Gordon Brown geht daher laut Handelsblatt vom 26.05.2009 an den Umbau seines Kabinetts:

Regierungschef Gordon Brown zieht Konsequenzen aus dem britischen Spendenskandal: Mit einem neuen Kabinett und einem „nationalen Plan“ will Brown seinen Kopf retten. Doch die Debatte läuft längst an ihm vorbei. Selbst innerhalb seiner eigenen Partei bekommt Brown unerwartete Konkurrenz.

Brown geht es also einzig und allein um seinen Kopf, nicht um Großbritannien. Ein typisches Bänkerverhalten könnte man meinen. Das Handelsblatt weiter:

Neben Abgeordneten zittern jetzt auch Minister um ihre Ämter. Nach neuen Enthüllungen des „Daily Telegraph“ sollen neun Kabinettsmitglieder, darunter Schatzkanzler Alistair Darling, gegen die Regeln verstoßen haben, indem sie die Kosten ihrer Steuerberater auf die parlamentarische Spesenrechnung setzten.

Schnell umbauen, bevor noch mehr herauskommt. Meine Güte, was eine korrupte Gesellschaft da drüben.

Allerdings macht der Spesenskandal das Parlament und die Labourfraktion unberechenbar. Mindestens fünf Labour- und Tory-Abgeordnete haben ihren Rückzug aus dem politischen Leben angekündigt. Andere wurden von ihren Fraktionen ausgeschlossen. Nach einer Berechnung der „Times“ wird rund die Hälfte der 646 Abgeordneten bei der nächsten Wahl ihren Job verlieren – durch Abwahl, oder freiwilligen Verzicht.

Die Hälfte der Abgeordneten hängt da mit drin? Einfach unglaublich. Nun muss man sehen, dass in Großbritannien sowieso schon die Nerven blank liegen. Das Land steht unmittelbar vor dem Staatsbankrott, die Regierung steht daher unter ungeheurem Druck der Öffentlichkeit und nun kommen mehr oder weniger zufällig solche Skandale an die Oberfläche. Das muss ja in einem Eklat enden.

In der Financial Times Deutschland vom 18.05.2009 geht man noch härter zur Sache:

Und es ist nicht nur die Regierung, die am Pranger steht. Es ist nicht nur eine Partei, die am Spesentopf erwischt wurde. Es geht nicht um einen kleinen Kreis von Übeltätern. All das hat es immer mal gegeben, in Großbritannien wie anderswo.

In diesem Skandal jedoch steckt die gesamte britische Politikelite: quer durch alle Parteien, Ränge, Funktionen. Das gesamte Parlament steht blamiert da, ist plötzlich diskreditiert – und all das zu allem Überfluss auch noch inmitten der schwersten Wirtschaftskrise, die das Land seit Jahrzehnten gesehen hat.

Da trifft es sich gut, dass Großbritannien seit Jahren ganze Arbeit geleistet und das Land in einen perfekten Überwachungsstaat verwandelt hat. Die erboste Bevölkerung wird daher den Skandal wohl vor dem Fernseher erleben müssen und sich nicht unbedingt vor die Türe trauen, da Browns Möglichkeiten weitreichend sind. Big Brother lässt grüßen.

Übrigens ist Großbritannien kein Einzelfall. Auch in Indien geht es derzeit rund. Die Süddeutsche dazu am 20.05.2009:

Jeder dritte Abgeordnete im indischen Parlament hat demnächst einen Termin vor Gericht. Wie die indische Gesellschaft für Demokratische Reformen (ADR) am Mittwoch mitteilte, sind gegen 153 von 543 Parlamentsmitgliedern Strafverfahren anhängig. 74 werden demnach sogar massiver Vergehen wie Raub oder Mord beschuldigt.

Na wunderbar, was für eine beispielhafte Regierung. Ob das der frühere koloniale Einfluss von Großbritannien ist, der hier zum Tragen kommt?

Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten in der BRD solche Zustände. Im Grunde haben wir sie wahrscheinlich genauso, nur weiß das Volk noch nichts von den Skandalen bei einigen unserer Abgeordneten. Wir können daher mutmaßen, dass mit fortschreitendem Zusammenbruch unserer Wirtschaft auch in der BRD nach und nach noch höchst interessante Machenschaften auffliegen werden.

Solange es den Menschen in den Wahlkreisen jedoch so gut geht, dass der in Kürze bevorstehende Urlaub mit Optimismus auf den Herbstaufschwung hin genossen werden kann, werden diese ihre Abgeordneten bzw. Wahlkreiskandidaten sicherlich nicht unnötig beanspruchen oder ihnen gar unbequeme Fragen stellen.

Doch der Tag der Wahrheit wird kommen. Dann wird sich zeigen, wer von den Damen und Herren es wirklich ehrlich gemeint hat mit uns. Zu einem hohen Prozentsatz sind es alles Parteisoldaten. Sie erzählen so gut wie nie ihre eigene Meinung, sondern wiederholen auswendig gerlernte Parteiparolen.

Eines ist sicher: je rauher der Wind, desto mehr Blätter werden aufgewirbelt und desto mehr Bäume fallen am Ende ganz um. Dass auch in Berlin im Reichstag britische Zustände einkehren könnten, ist auf keinen Fall ausgeschlossen. Wir sind gespannt, wann es losgeht – wäre schön, wenn das noch vor der Wahl passiert.

11 Replies to “Wann fliegt der politische Deckel in Berlin weg?”

  1. Hier könnte man auch was aufdecken – und das wäre sogar noch sofort nützlich, denn das könnte man sofort machen, wenn es nicht blockiert würde – sobald die Öffentlichkeit es erfährt, kann keiner den Bürgern erklären, warum das nicht umgesetzt wird.

    einfach hier weiterlesen: (auch dort dem Link im Text folgen)

    http://work-local-for-global.blogspot.com/

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